Interview mit Mark Medebach – Gesamtkoordinator des GEMINI-Projektes „Empowered by Democracy“ bei der Evangelischen Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung.
Mark Medebach: Zielgruppe junge Geflüchtete erreicht, aber wir haben noch viel Arbeit vor uns: Austausch von Praxiserfahrungen und Konzeptentwicklung
Frage bap: Das Projekt „Empowered by Democracy“ der Träger der GEMINI-Gruppe im bap läuft nun seit einem Jahr mit dem Ziel junge Geflüchtete und deutsche Jugendliche zusammenzubringen, um sich in Seminaren und Workshops mit dem Zusammenleben in der Demokratie auseinanderzusetzen. Wie war die Resonanz zu diesem Angebot auf Seiten der jungen Geflüchteten und der jungen Deutschen? Welche Ergebnisse können Sie aus den Bildungsveranstaltungen schon benennen? Wo gab es Schwierigkeiten? Wo Erfolge?
Nach einem Jahr kann ich sagen: Den rund 40 projektbeteiligten Bildungseinrichtungen ist es gelungen, die Zielgruppen zu erreichen und die über 50 Einzelmaßnahmen des Projektes wurden gut angenommen. Die Selbstevaluation für 2017 ist noch nicht abgeschlossen, gleichwohl lassen sich schon erste Erkenntnisse benennen. Da ist zunächst die Ansprache: Um junge Geflüchtete für Angebote der politischen Bildung zu begeistern, ist zunächst vertrauensbildende Beziehungsarbeit nötig, die auch Zeit kostet. Ein Einladungsflyer reicht nicht aus. Als sehr erfolgversprechend hat sich in diesem Kontext die Zusammenarbeit mit Einrichtungen der Jugend- oder Flüchtlingshilfe, mit Schulen und mit Migrant*innenselbstorganisationen erwiesen. Geflüchtete Jugendliche haben in den meisten Fällen keine Vorstellung davon, was politische Jugendbildung ist und kommen zu unseren Veranstaltungen, weil sie Begegnungen mit anderen Jugendlichen suchen, aber auch, weil sie etwas über das Leben in Deutschland – auch das politische Leben – erfahren möchten. Unser Ansatz im Projekt ist dabei, sie nicht paternalistisch zu belehren und damit zusätzlich schwach zu machen, sondern sie dabei zu unterstützen, sich eigene Meinungen zu bilden und Wege zu suchen, sich aktiv in die Gesellschaft einzubringen. Nicht wenige geflüchtete Jugendliche sind bereits politisiert und wünschen sich Austausch und Informationen. Biografiearbeit sowie kultur- und medienpädagogische Herangehensweisen, in denen gute Deutschkenntnisse nicht so wichtig sind, stellen dafür geeignete methodische Zugänge dar. Als Herausforderung benannten einige Bildungspraktiker*innen Berührungsängste zwischen jungen Geflüchteten und herkunftsdeutschen Jugendlichen zu Beginn von Veranstaltungen. Der Einsatz von „Eisbrecher-Methoden“ und eine Auswahl von Themen, zu denen Teilnehmende mit und ohne Fluchthintergrund von Anfang an etwas sagen können, können hier Abhilfe schaffen.
Frage bap: Mit ihrem Projekt wollten Sie auch junge Geflüchtete ermutigen und befähigen, Teamer*innen zu werden und sich in selbst gewählten Formaten der politischen Bildung mit Themen aus ihrem Leben auseinanderzusetzen. Gibt es dafür schon erste Anknüpfungspunkte und was werden Sie unternehmen, um dieses Ziel zu erreichen.
In jeder der projektumsetzenden Bundesorganisationen gibt es mehrere Einrichtungen, die Konzepte entwickeln zur Qualifizierung von jungen Geflüchteten zu Teamer*innen der politischen Jugendbildung. Die ersten Maßnahmen in diesem Bereich laufen gerade an. Dabei ist das Motto: Viele Wege können zum Ziel führen, ein vereinheitlichtes Curriculum für eine Teamer*innenqualifizierung würde den unterschiedlichen Rahmenbedingungen in den verschiedenen Einrichtungen nicht gerecht werden. Um dennoch einige Eckpunkte zu formulieren, treffen sich die Bildungspraktiker*innen Mitte Mai zu einem Werkstattgespräch. Mittelfristig ist unser Ziel, dass junge Teamer*innen mit Fluchthintergrund inner- und außerhalb des Projektkontextes eine aktive Rolle einnehmen, zum Beispiel als (Co-)Moderator*innen von Bildungsveranstaltungen, als Expert*innen für bestimmte Themenbereiche, als Peertrainer*innen in der Schule, im Stadtteil, im Verein oder in der Wohngruppe.
Frage bap: Mit dem Projekt fördern Sie auch den Austausch unter den Fachkräften der politischen Jugendbildung über die neuen Herausforderungen. Für den Austausch unter den Fachkräften bieten Sie Multiplikator*innenqualifizierungen, Fachtagungen, Vernetzungstreffen und Publikationen statt. Was können wir da in den nächsten Monaten aus dem Projekt erwarten?
Neben dem genannten Werkstattgespräch sind zwei Vernetzungstreffen der projektbeteiligten Einrichtungen bzw. Bildungspraktiker*innen geplant. Dabei geht es um die gemeinsame trägerübergreifende Weiterentwicklung und die Diskussion zentraler Fragestellungen des Projektes. Gegen Ende des Jahres werden zwei Fortbildungen zu den Themen „Geschlechtersensible Pädagogik“ und „Umgang mit Ideologien der Ungleichwertigkeit“ stattfinden. Sie sind für alle Fachkräfte der politischen Jugendbildung offen. Ein besonderes Format – ebenfalls in der zweiten Jahreshälfte – ist der „Matchmaking Day“, bei dem sich Bildungspraktiker*innen in einer Art Kontaktbörse mit Migrant*innenselbstorganisationen vernetzen können. An dieser Stelle möchte ich auch auf eine Publikation hinweisen, die in Kürze im Rahmen des Projektes erscheinen wird: In der Analyse „Außerschulische Politische Bildung mit jungen Geflüchteten: Erfahrungen, Themen, Bedarfe“ trägt Christiane Toyka-Seid Erkenntnisse zahlreicher Einrichtungen der GEMINI-Träger im Themenfeld „Flucht und Migration“ in einer praxisnahen Darstellung zusammen. Die Publikation und weitere Informationen zum Projekt sind unter http://www.empowered-by-democracy.de/ abrufbar.
Zur Person: Mark Medebach (Jahrgang 1975) arbeitet als Gesamtkoordinator des GEMINI-Projektes „Empowered by Democracy“ bei der Evangelischen Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen neben den koordinierenden Aufgaben für die beteiligten Bundesorganisationen die Entwicklung, Planung und fachliche Begleitung von Modellvorhaben der politischen Bildungsarbeit mit jungen Geflüchteten, die Öffentlichkeitsarbeit im Rahmen des Projekts sowie die Redaktion von Bildungsmaterialien und Publikationen. Er ist Diplom-Sozialwissenschaftler und war bis 2017 in der Bundeskoordinierungsstelle des Netzwerks „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ tätig.
Mehr Informationen zum Projekt „Empowered by Democracy“ finden Sie hier.
Projektträger ist der Bundesausschuss Politische Bildung (bap) e. V. Umgesetzt wird „Empowered by Democracy“ von den Trägern Arbeitsgemeinschaft katholisch-sozialer Bildungswerke (AKSB), Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten (AdB), Bundesarbeitskreis ARBEIT UND LEBEN (AL), Deutscher Volkshochschul-Verband (DVV), Evangelische Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung (et) und Verband der Bildungszentren im ländlichen Raum (VBLR). Die Evangelische Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung hat die Gesamtkoordination des Projekts übernommen. Die umsetzenden Träger sind Mitglieder der GEMINI (Gemeinsame Initiative der Träger politischer Jugendbildung im Bundesausschuss Politische Bildung).
Die Durchführung des Projekts wird aus Fördermitteln von Demokratie leben! und der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) gefördert.