„In allen grundlegenden europäischen Dokumenten werden die Begriffe Employability und Citizenship gemeinsam betont – aber in der Praxis geht es um politische Bildung häufig erst, wenn alles andere schon geregelt ist“, brachte Prof. Dr. Wolfgang Schröer, Universität Hildesheim, seine Kritik auf den Punkt. Zugleich stellte er beim Fachforum am 04.06.2014 im Rahmen des 15. DJHT in Berlin Erkenntnisse aus dem Projekt „KIK – Kompetenzen – Interessen – Kooperationen“ vor. Die Beispiele aus diesem bundesweiten Vorhaben der GEMINI (Gemeinsame Initiative der bundeszentralen Träger politischer Jugendbildung im Bundesausschuss Politische Bildung (bap) zeigen, dass politische Bildung und die berufliche Ausbildung keine getrennten Welten sein müssen. Die Verbindung von politischer und beruflicher Bildung ist laut Schröer ein wichtiger Ansatz. Denn gerade die Übergangs- und Ausbildungsphase sei für die politische Sozialisation und die Wahrnehmung der eigenen Bürgerkompetenz sehr wichtig: „In diesem Lebensabschnitt bekommen junge Menschen implizite Signale durch Politik, Gesellschaft und Wirtschaft, wo sie mitbestimmen und welchen Platz sie in der Gesellschaft einnehmen dürfen. Deshalb müssen wir uns kritisch anschauen, ob die Kultur der Arbeitswelt, die junge Menschen vermittelt bekommen, die eigentlich erforderliche ist. Die demokratische Kultur endet nicht am Betriebstor.“
Zwei Praxisbeispiele zeigten, wie Aspekte beruflicher und politischer Bildung verknüpft werden können. Andrea Graf (Alte Feuerwache Berlin e. V. Berlin) berichtete begeistert, wie Jugendliche mit Migrationsgeschichte im Projekt „DialogPERSPEKTIVE“ bei Exkursionen in Unternehmen und Behörden mit Ausbildern diskutieren: „Sie machen zum ersten Mal die Erfahrung, dass sie in der Arbeitswelt willkommen sind und ihre Meinung gefragt ist.“ Der Ansatz dieses Projekts besteht darin, nicht nur Unternehmen ihre Arbeitsfelder präsentieren zu lassen, sondern einen Dialog auf Augenhöhe herzustellen: „Wir müssen die Interessen der Jugendlichen und Kompetenzentwicklung zusammen denken. Und wir dürfen nicht nur bei den Jugendlichen ansetzen, nach dem Motto, „ihr müsst euch für den Arbeitsmarkt aufpimpen“, sondern auch bei den Unternehmen, um Sensibilisierung für Vielfalt zu schaffen. Es ist toll, dass die meisten Unternehmen, mit denen wir zusammen arbeiten, die Erfahrungen aus dem Projekt in ihre Personalstrategien aufgenommen haben.“ Johannes Smettan (Arbeit und Leben Thüringen, Erfurt) machte deutlich, dass die Arbeitswelt alles anderes als unpolitisch ist: „Nicht jeder von uns ist ein wichtiger IT-Mann wie Edward Snowden und kann einen großen Abhörskandal aufdecken. Aber jeder muss sich fragen: Wann kommen die eigenen Werte und Überzeugungen in Konflikt mit den Anforderungen der Arbeitswelt?“ In diesem Projekt erarbeiteten sich Jugendliche am Erfurter Lernort „Topf und Söhne“ die Geschichte der „Ofenbauer von Auschwitz“. „Ganz normale Menschen haben sich – freiwillig und ohne Zwang – mit eigenen Vorschlägen hervorgetan, wie die Vernichtung von Menschen noch effizienter gestaltet werden kann“, fasste Smettan die Rolle dieser Firma im Nationalsozialismus zusammen. „Daran haben wir angesetzt und mit den Jugendlichen über die ethischen und moralischen Aspekte von Arbeit diskutiert.“
Ein wichtiger Bestandteil nicht nur dieser, sondern aller KIK-Projekte war es laut Schröer, dass Jugendliche die Arbeitswelt nicht einfach als naturgegeben sehen. Politische Bildung sollte ein Bewusstsein bei Jugendlichen wecken, dass Arbeit durch politische Entscheidungen, durch Unternehmen und von den Arbeitnehmer_innen gestaltet werden kann. In diesem Zusammenhang können dann z. B. auch Fragen sozialer Gerechtigkeit und von Diskriminierung thematisiert werden. Nur so können Jugendliche die Erfahrung machen, gehört zu werden und mitgestalten zu können. Auf der anderen Seite heißt das aber auch, dass man auch Konflikte aushalten und die konkreten Bedingungen in den Unternehmen im Blick haben müsse. Er appellierte: „Wir müssen auch fragen, wie es eigentlich passieren konnte, dass die Arbeitswelt heute weitgehend als unpolitischer Raum wahrgenommen wird.“
Die sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Daniela Kolbe, Leipzig, nahm diesen Ball gern auf und betonte, dass man deutlich zwischen den Interessen der Unternehmen an kompetenten, politisch gebildeten und teamfähigen Mitarbeiter_innen auf der einen Seite und den Interessen von Auszubildenden und Arbeitnehmer_innen gegenüber den Unternehmen auf der anderen Seite unterscheiden müsse. Mit Verweis auf ihre eigenen Erfahrungen in der politischen Bildung betonte sie, dass gerade die politische Bildung in Berufsschulen eine wichtige Aufgabe sei, um zu informieren, aufzuklären und zum Beispiel Verstöße gegen das Arbeitsrecht zu thematisieren. Katja Porath, Ausbilderin in der Accor-Gruppe und Projektpartnerin von „DialogPerspektive“, betonte, dass eine gute politische Bildung für die Auszubildenden ihres Unternehmens eine große Relevanz hat. Gleichzeitig verwies sie jedoch auf den engen Zeitrahmen, der für die berufliche Ausbildung vorgegeben ist.
In der Diskussion schien auch die Frage auf, wie eng eine politische Bildung, die zu einem kritischen Nachdenken über Arbeitsbedingungen und Wirtschaftssystem anregen will, mit Unternehmen kooperieren darf. Andrea Graf zitierte den Vorwurf „Du machst die Jugendlichen fit für den neoliberalen Arbeitsmarkt“, aber verwies darauf, dass ihre Arbeit gerade die Jugendlichen in ihrer Selbstwahrnehmung und Selbstwirksamkeit stärkt. Johannes Smettan bemerkte selbstkritisch, dass politische Bildung in der Arbeitswelt häufig nicht die großen Fragen, Gesellschaftsentwürfe und Utopien thematisieren könne und fragte, ob das nicht auch eine Form von Einpassung sei. In der Realität müsse politische Bildung aber wohl beides leisten, die Stärkung der Wahrnehmung eigener Interessen sowie die Orientierung mit Blick auf den Arbeitsmarkt.
Klaus Waldmann, Vorsitzender des Bundesausschuss Politische Bildung (bap) zeigte auf, welche Aspekte eine arbeitsweltbezogene politische Jugendbildung künftig aufgreifen sollte und weshalb sie wieder einen höheren Stellenwert bekommen muss. Veränderungen in den Lebensorientierungen – Stichwort Work-Life-Balance –, der demografische Wandel, der gewachsene Wunsch nach Mitgestaltung rücken dieses Thema neu in den Fokus des politischen Interesses. Der Wandel der Arbeitsgesellschaft, der Abbau von Diskriminierungen, die Reflexion persönlicher Lebensperspektiven, das Nachdenken über arbeitsethische Fragen und Aspekte der Interessenvertretung könnten Anknüpfpunkte politischer Bildung sein. Deutlich ist, dass diese Themen kooperativ mit anderen Akteuren aufgegriffen werden müssen. Gerade bei Projekten mit Jugendlichen im Übergangssystem sei eine Kooperation mit der Jugendsozialarbeit wichtig. Andrea Pingel vom Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit stimmte dem zu: „In beiden Feldern geht es um die gesellschaftliche und politische Teilhabe junger Menschen. Jugendsozialarbeit ist der Arbeitsmarktprofi in der Kinder- und Jugendhilfe, aber im Zusammenspiel mit der politischen Bildung können gesellschaftspolitische Fragen aufgegriffen und z. B. Mechanismen struktureller Diskriminierung thematisiert werden.“