Die erste Frage liegt auf der Hand: Wie kommt ein 24-jähriger Germanistikstudent dazu mit der Kamera nach Syrien zu reisen? Wie ist die Idee entstanden und wie konntest Du dich auf das vorbereiten, was Du in Syrien erlebt hast?
Nach drei Jahren in der Fußball-Redaktion eines Sportsenders wollte ich mich beruflich umorientieren. Ich liebe das Genre Dokumentarfilm und wollte mich an einem eigenen versuchen. Aus der Studienzeit kannte ich eine deutsch-syrische Familie, die in München Sachspenden sammelte und diese in Eigenregie nach Syrien brachte. Diesen Irrsinn, dass Privatpersonen humanitäre Hilfe leisten, weil es vor Ort an flächendeckender Hilfe großer Organisationen mangelt, wollte ich zeigen.
Ich wusste, was mich in Bab Al Salameh erwartet. Vor der Reise hatte ich drei Monate verschiedene Zeitungen verfolgt, national und international, ich folgte verschiedenen syrischen Bürgerjournalisten auf Facebook und sprach mit Syrern bei Informationsveranstaltungen und Kundgebungen, etwa von syrischen Aktivisten oder den Reportern ohne Grenzen. Ich wusste also sehr genau, was mich in Syrien erwarten würde, wobei das rationale Wissen nicht auf das konkrete und somit emotionale Erleben vorbereitet.
Dein Film lebt von sehr persönlichen Eindrücken, von vielen Emotionen – vor allem auch deinen eigenen. War dir schon vor der Reise klar, dass du nicht der distanzierte Erzähler sein willst oder hat sich die Art des Erzählens erst im Laufe der Reise ergeben?
Eigentlich wollte ich die Familie Dahi und die Hilfsaktion portraitieren, besonders Vater Mahmoud, mit dem ich nach Syrien fuhr. Es sollte eine ganz „klassische“ Doku werden, in der ich mich aus dem Geschehen zurückhalte und abbilde, was passiert. Wie kriegen wir die Autos über die Grenze? Wie kräftezehrend ist eine Syrien-Hilfsaktion für die Familie? Und vor allem: Warum nimmt Mahmoud Dahi all die Strapazen auf sich, um in Syrien Hilfe zu leisten? Das waren die Fragen, die mich umgaben.
Als ich dann aber das erste Mal einen Fuß ins Flüchtlingslager Bab Al Salameh setzte waren all diese Ideen dahin. Ich war komplett erschlagen von den Zuständen vor Ort – all die kranken Kinder, der Gestank, die Verletzten und natürlich der Kindersoldat als Spitze des Eisbergs. Schon beim Filmen habe ich gemerkt, dass das Gefühl in mir stärker ist, als das Bild, das ich filme – egal, wie gut das gefilmte Bild war. Außerdem war die ursprüngliche Geschichte handwerklich gar nicht möglich. Vor Ort als Redakteur-, Kamera- und Tonmann gleichzeitig zu arbeiten bedeutete, dass ich auf jedem Gebiet Abstriche machen musste.
Zurück zuhause reifte dann nach und nach der Entschluss, dass ich meine eigene Geschichte erzähle, um einen anderen Zugang zu dieser nur scheinbar sehr weit entfernten Welt zu liefern. Das machte es auch leichter, mit dem Material umzugehen.
Du gehst mit „Süchtig nach Dschihad – Der Film eines kleinen Jungen“ an Universitäten, Schulen und in Jugend- und Kultureinrichtungen. Welche Reaktionen bekommst Du vom Publikum?
Nach dem Filmende gibt es meistens überhaupt keine Reaktion. Nur Stille. Die Zuschauer sitzen stumm da und sind konsterniert. Das ist gut, denn ich will mit dem Film ja Fragen aufwerfen und zum Nachdenken anregen. Ich versuche dann zu vermitteln, dass es Gründe für all dieses Elend gibt und viele von denen im Wohlstand und der Gedankenlosigkeit unserer westlichen Welt zu finden sind. Viele sagen – genau wie ich in Syrien – dass sie sich schämen, in Deutschland zu leben. Aber darum geht es nicht. Wieso sollte ich mich schämen für etwas, in das ich glücklicherweise reingeboren wurde? Es geht darum, diesen Zustand wertzuschätzen, um dann zu gucken, wie ich als Einzelner mit meinen Talenten, Überzeugungen und Ideen einen Teil dazu beitragen kann, dass die Welt etwas besser wird. Alles im Armlängenkosmos. Niemand außer einer kleinen Elite von Politikern kann beispielsweise in Syrien für Frieden sorgen. Aber sowie es eine kritische Öffentlichkeit gibt, die hinterfragt und im Rahmen der eigenen Möglichkeiten für Besserung sorgt, wird es schwerer für Politiker, willkürlich zu machen, was sie wollen. Denn das tun vor allem jene, die sich unbeobachtet fühlen. Und jeder hat die Möglichkeit, sich Gedanken zu machen, seine Stimme zu erheben und sich im Kleinen zu engagieren.
In der politischen Bildung geht es darum, insbesondere junge Menschen für politische Zusammenhänge zu sensibilisieren. Glaubst du, als Empfänger und mittlerweile auch Vermittler politischer Bildung, dass Jugendliche richtig angesprochen werden oder wo gäbe es aus deiner Sicht noch Verbesserungspotential?
Gerade junge Leute sind völlig reizüberflutet vor ihren Laptops, Tablets, Smartphones und Fernsehern. Ich glaube, dass selbst diejenigen, die sich als politisch interessiert bezeichnen, zwar grob wissen, was geschieht, aber in der Tiefe keinen Plan haben. Weil es für viele zu anstrengend ist, lange Artikel zu lesen aber gleichzeitig völlig unzureichend, nur zusammenfassende Stichworte aufzuschnappen.
Insgesamt fehlt gerade in politischen Themen die Emotion. Politische Bildung hat für viele einen sehr elitären Anstrich – als müsste man hochintelligent sein, um sich überhaupt für Politik interessieren zu können. Der Kopf sagt nein.
Mein Ansatz war es, einen sehr emotionalen Film zu machen, damit der Zuschauer emotional aufgewühlt und mit vielen Fragen aus einem Film geht, um sich inspiriert von diesem konkreten Erleben einen Überblick über die Gesamtlage zu machen. Mein Film sollte Anlass sein, sich diesen scheinbar undurchschaubaren Themen wie Nahost-Politik überhaupt erst zuzuwenden und sie nicht zu ignorieren.
Denn eins sollte spätestens heute jedem klar sein: Syrien ist nicht weit weg und der Nahe Osten keine andere Welt. Kriege, die unsere Regierungen auf verschiedenste Arten mit schüren, kommen wie ein Bumerang zurück.