„Macht politische Bildung auch politisch?“ fragte 2006 die Zeitschrift Außerschulische Bildung (Nr. 2) im Blick auf das Verhältnis von Bildungsarbeit und politischer Sozialisation. In der Frage klang eine gewisse Skepsis mit, die im Grunde mit dem Aufkommen der Sozialisationsforschung deutlicher artikuliert wird. Die aktuelle Ausgabe des Journal für politische Bildung greift diese Frage auf.
Der Begriff der politischen Sozialisation ist ja, wie das „Handlexikon zur Politikwissenschaft“ von Wolfgang Mickel schreibt, „auf alle soziokulturell beeinflussten Lernprozesse bezogen, in denen sich politische Orientierungen, also Kenntnisse von politischen Vorgängen, Institutionen, Organisationen und deren Repräsentanten sowie damit verbundene Gefühls- und Werthaltungen, entwickeln.“ Damit wird der sozialen Umwelt insgesamt bei der Herausbildung politischer Identität Aufmerksamkeit geschenkt und nicht allein der Blick auf intentionale, organisierte und professionell betreute Lernprozesse gerichtet, die in diesem Kontext vielleicht gar nicht die Hauptrolle spielen.
Die Frage nach dem Stellenwert und Wirkungsgrad zielgerichteter pädagogischer Bemühungen in Sachen Politik beschäftigt die außerschulische, non-formale Profession kontinuierlich. Politische Jugend- und Erwachsenenbildung befindet sich ja in einer gewissen Randposition, sie hat – auch wenn sie in Deutschland (noch) über eine breite Infrastruktur verfügt – nicht den Status eines voll anerkannten, integralen Bestandteils des Bildungswesens, der als unabdingbar für die heutigen Lern- und Qualifizierungsprozesse wahrgenommen würde. Und doch macht diese Bildungspraxis immer wieder die Erfahrung, dass sie wichtige Impulse geben oder neue Entwicklungen anstoßen kann, dass Jugendliche oder Erwachsene ihre Angebote bereitwillig aufgreifen und sich hier oft zum ersten Mal oder in einschneidender Weise als politische Individuen, als Akteure und kritische Beobachter, nicht nur als Zuschauer und passive Rezipienten, erleben.
Der aktuelle Stand der fachlichen Debatte zum Verhältnis von Bildung und Sozialisation ist Thema des vorliegenden Heftes. Es beginnt mit einer kurzen Begriffsbestimmung von Michael Görtler (Universität Augsburg), der unterschiedliche Konzepte der Sozialisationsforschung und auch das Spektrum der politischen Bildungsbemühungen aufzeigt. Christel Teiwes-Kügler und Jessica Vehse, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen an der Universität Duisburg-Essen bzw. Hamburg, berichten dann aus dem Projekt „Gesellschaftsbild und Weiterbildung“, das nach dem Zusammenhang von (beruflicher) Weiterbildung und der Vermittlung gesellschaftlich-politischer Orientierungen fragt.
Dem folgen zwei historisch angelegte Texte – zu den beiden prominenten Generationsgestalten, die die Jugendforschung in Deutschland ermittelt hat, nämlich zur skeptischen und zur protestierenden Generation. Zunächst thematisiert Dr. Paul Ciupke (Bildungswerk der Humanistischen Union NRW) die 50er Jahre samt Folgen und korrigiert gängige Vorstellungen von der Nachkriegsgenerationen, die ja oft als unpolitisch, als Ansammlung von „Ohnemichels“ charakterisiert worden ist. Anschließend fokussiert Dr. Morvarid Dehnavi (Helmut Schmidt Universität) auf das Jahr 1968 und geht der (geschlechts-)politischen Sozialisation von Aktivistinnen der Studentenbewegung und der in deren Nachfolge entstandenen Frauenbewegung nach. Abgeschlossen wird der Schwerpunkt mit einem Beitrag von Dr. Wibke Riekmann (Universität Hamburg) über die Leistungen der Jugendverbände in Sachen politische Sozialisation. Jugendverbandsarbeit stellt ja ein wichtiges Aktionsfeld Jugendlicher dar, in dem diese auch außerhalb von organisierten Lernprozessen ausprobieren können, ‚wie man politisch wird‘.
Unter QuerDenken wird die Diskussion aus dem Schwerpunktteil von Journal Nr. 2/13 („Rechtsextremismus“) fortgesetzt. Prof. Stephan Bundschuh (Hochschule Koblenz) nimmt zu der Auseinandersetzung um den Extremismusbegriff Stellung, der ja – nicht zuletzt seit den Skandalen um das ominöse Verfassungsschutzversagen in Sachen brauner Terror – unter Ideologieverdacht steht. Rainer Gries (Friedrich-Ebert-Stiftung) gibt dann, passend zum Jahr der europäischen Bürger und Bürgerinnen, einen Überblick über die aktuellen Herausforderungen für die europapolitische Bildung (Rubrik ÜberGrenzen). Die weiteren Rubriken enthalten Nachrichten, Kommentare und Materialien zur Bildungsszene.